Buerlossball

Aufgeschrieben im Mai 2005 von Erka Speil


Ich bin der Dorfmusikant. Ich kann etwas Schifferklavier spielen. Tanzmusik
für den Hausgebrauch. Noten kann ich zwar nicht lesen, aber sehr gut
hören. Wenn jemand eine Melodie einmal gesummt oder gepfiffen hat, finden
meine Finger sie auf dem Schifferklavier sehr schnell wieder. Dann mache ich
daraus Tanzmusik mit dem richtigen Takt und dem großen Schwung. Deshalb bin
ich sehr begehrt. Jedenfalls als Schifferklavierspieler.

Im Krieg sind Tanzvergnügen verboten. Deshalb tanzten wir nach dem Krieg mit
wahrer Leidenschaft. Wir sind schließlich nur einmal jung. Und wir haben überlebt.
Wer von uns keine Lederschuhe hat, tanzt eben in seinen Holzschuhen. Wegen
dieser „Holsken“ wird der Dielenboden mit Häcksel bestreut. Das macht ihn glatt.
Deshalb können wir auch mit den unbiegsamen „Holsken“ richtig drehen und gleiten.
Denn das schwungvolle Drehen und gefühlvolle Gleiten ist damals erste Tänzer-
pflicht.

Das Hauptproblem ist, eine freie Diele zu bekommen. Denn der Bauer und die
Bäuerin haben mit diesen Tanzvergnügen nicht viel im Sinn. Deshalb
können wir eine Diele nur zum Tanzen benutzen, wenn der Hof „Buerloss un Wiefloss“
ist. Wenn also der Bauer und die Büuerin den Hof verlassen haben, um Verwandte
oder Freunde zu besuchen oder um anderen Notwendigkeit nachzugehen. Das
muss auch noch an einem Sonntag passieren. Nur dann haben wir am Nachmittag
Freizeit bis zum Füttern und Melken. Sonst müssen wir immer arbeiten.

Tritt ein solches Ereignis irgendwo ein, wird eilig bei mir nachgefragt, ob ich einsatz-
bereit bin. Das ist natürlich stets der Fall. Sofort gehen Eilnachrichten über
Stafetten zu den jungen Leuten im Dorf und der näheren Umgebung. Es ist
"Buerlossball".Schon nach kurzer Zeit sind alle versammelt. In Windeseile wird die
Diele hergerichtet. Und los geht es. Das ist ein Drehen, Gleiten, Hopsen und Springen.
Manch Jauchzer wird ausgestoßen und mancher Schweißtropfen vergossen. Es ist die
Lebensfreude pur.

Nur schade, dass ich nicht gleichzeitig Tanzen und Schifferklavier spielen kann.



Junker Schwenke

Aufgeschrieben im Dezember 2004 von Erka Speil


Ich bin Junker Schwenke aus Huckelsrieden bei Lönningen. Reichtümer
habe ich keine mehr. Das war früher anders. Da hatte ich noch mein Gut
Ahmsen. Es besteht aus sechs Höfen. Einer wird von einem Leibeigenen
und vier von freien Bauern bewirtschaftet. Auf dem sechsten residiert meine Frau.

Ich bin das, was die Leute einen Glücksritter nennen.

Den ganzen Frühling und Herbst über bin ich unterwegs. Dann finden
nämlich die Turniere an den reichen Herrenhöfen statt. Daran nehme ich
teil. Natürlich nicht nur, um meinen Mut und meine Kraft zu beweisen sonder
auch, um Reichtümer zu erwerben.

Es stimmt schon, so ein Turnier ist ein hartes Stück Arbeit. Die Rüstung
wiegt an die 60 Pfund. Und die fast 6 Meter lange Lanze in vollem Galopp waagerecht zu
zu halten ist auch nicht gerade ein Kinderspiel. Der Trick besteht darin, den Gegner
genau unter dem Kinn zu treffen. Auch wenn die Lanzen kleine Kronen tragen, um
Verletzungen nach Möglichkeit zu vermeiden, wirft ein derart gezielter Stoß
den Gegner garantiert aus dem Sattel. Damit ist dann der Kampf zu Ende.

Natürlich ist der Hals ein sehr schmales Ziel und leicht zu verfehlen. Ich
ziele daher lieber auf den Schild des Gegners. Und zwar genau dorthin, wo vier
Nägel anzeigen, dass hier der innen liegende Handgriff angebracht ist. Das
ist bei den Schilden die Schwachstelle, und mit einigem Glück kann man sogar
die Schildhand des Gegners durchbohren. Sitzt der Stoß genau, gibt es nur zwei
Möglichkeiten: Entweder der andere Ritter stürzt aus dem Sattel oder
die Lanze zersplittert.

Wenn ich Glück habe, siege ich und kann meinem Gegner seine Rüstung und
sein Pferd abnehmen. Das ist das Recht des Siegers. Reiche Ritter halten das
nicht für vornehm. Sie verzichten großzügig darauf, den geschlagenen
Gegner auszuplündern. Ich kann mir solche Großzügigkeit nicht leisten.
Schließlich kostet eine Turnierausrüstung ein Heidengeld. Mindestens so viel
wie 20 Ochsen, einmal ganz abgesehen von dem ebenfalls sehr teuren Ross. Und das
alles kann mit einem einzigen Lanzenstich oder Schwerthieb verloren gehen. Der
unglückliche Verlierer muss am nächsten Tag schauen, ob er einen Juden
findet, der ihm genug Geld leiht, damit er seine Rüstung und sein Pferd
zurückkaufen kann.

Das unentwegte Training durch die Teilnahme an vielen Turnieren macht uns
Glücksritter zu gefährlichen Streitern. Meist gewinnen wir unsere Duelle
und damit viel Geld, so dass wir uns hin und wieder sogar eine Niederlage leisten
können. Bei mir ist das in der letzten Zeit anders: Ich verliere häufiger
als ich gewinne. Das wird teuer. Ganz abgesehen von den hohen Kosten für die
gewaltigen Gelage, bei denen wir Sieg oder Niederlage feiern. Auch der Wundarzt,
der meine teilweise schweren Verletzungen, Prellungen, Verstauchungen, Schürf-
wunden und Blutergüsse behandelt, kostet viel Geld. Schließlich
wollen die Juden ihr Geld zurück. Ich muss meine Ländereien an die Bauern
verkaufen. Nicht mit einem Mal, sondern nach und nach. Die Bauern zahlen zum
größten Teil in Naturalien. Meine Frau sagte immer: „Was sind das doch
für dumme Leute – sie geben dicken Speck für schwarzen Dreck.“ Aber
eines Tages ist kein Dreck mehr da. Wir haben unsere gesamten Ländereien
verkauft. Wir müssen nach Huckelrieden ziehen. Dort gehört uns noch
ein kleiner Hof. Aus meinem Gut Ahmsen ist plötzlich ein Bauerndorf mit sechs
Höfen geworden. Hoffentlich hat es mehr Glück als ich vom Pech verfolgter
Glücksritter.


Leben auf dem Bauernhof

Aufgeschrieben im Mai 2005 von Erka Speil

Die Küche ist der Mittelpunkt des Lebens auf unserem Bauernhof. Sie ist der
auptsächliche Aufenthaltsort für die ganze Familie. Zu der gehören auch die
Großeltern, auf dem Hof lebende Onkel und Tanten sowie die Dienstleute. Unsere
gute Stube wird nur benutzt, wenn Besuch kommt. Die Schlafzimmer werden auch
im strengsten Winter nicht geheizt.
Eine Küchenseite nimmt der lange Tisch ein, an dem sich die Familie zum Essen
oder zum gemütlichen Zusammensein trifft. An kalten Winterabenden sitzen wir alle
um den warmen Küchenherd herum. Jeder ist dabei mit einer kleinen Arbeit beschäftigt.
Die Alten erzählen und die Jungen hören zu. So wird das Wissen unserer Familie immer
weiter gegeben.
Unter der Küchendecke hängen Schinken, Speck, Wurst und Pökelfleisch. Die heutige
Kühltechnik gab es ja noch nicht. Deshalb schlachteten wir auch nur im Winter. Die
Schlachtung machte der Hausschlachter. Er hängt das tote Rind oder Schwein an
eine Leiter damit das Fleisch in der Winterkälte auskühlen kann. Nach dem Wunsch
unserer Mutter zerlegt er dann das Tier. Schinken, Speck und Gemüseknochen werden
in Salzlake gepökelt und später geräuchert. Dauer- und Kochwurst, Sülze, Wurstebrot
und Grütze werden hergestellt. Ein kleiner Teil des Fleisches wird in Gläsern eingekocht.
Natürlich ist das Schlachten auch ein Fest, an dem viel gegessen wird.
Unser Alltagsessen ist einfach. Zum Frühstück gibt es meist Wurstebrot, Grütze, Pfann-
kuchen, Brotstipp mit ausgelassenem Speck oder Bratkartoffen. Das gibt Kraft. Die ist
nötig, weil fast alles auf dem Hof in Handarbeit erledigt werden muss. Mittags überwiegt
bei uns der Gemüseeintopf mit Pökelfleisch, Mettwurst oder durchwachsenem Speck.
Zur Vesperzeit gibt es belegte Schnitten aus selbstgebackenem Schwarz- oder Mischbrot
aus Roggen- und Weizenmehl. Dazu trinken wir Malzkaffe mit Milch. Zucker ist ein Luxus,
den wir uns nur an Festtagen erlauben. Die Grundbestandteile unserer Nahrung liefern
Garten und Feld. Für Eier sorgt unsere fleißige Hühnerschar. Aus dem Kolonialwaren-
laden des Dorfes holen wir nur wenig Ware. Dafür geben wir meist Eier in Zahlung, die
wir nicht für den Eigenverbrauch benötigen.
Fließendes Wasser wie heute hatten wir nicht. Unser Wasser müssen wir mit der Haus-
pumpe in der Beiküche, die heute wohl Hauswirtschaftsraum genannt wird, aus unserem
Brunnen hoch pumpen. Heuerleute müssen sich ihr Wasser mit dem Wellrad aus einem
zwischen den Heuerhäusern angelegten Brunnen, der Pütte, mit Kette und Eimer hoch-
drehen.
Unsere Toilette hat natürlich keine Wasserspülung. Sie steht als Häuschen mit Herz neben
dem Stall und ist direkt mit der Jauchegrube verbunden. Für die Nacht haben wir einen der
Nachttopf unter dem Bett.
Ein Badezimmer hatten wir natürlich auch nicht. Gewaschen haben wir uns in der Wasch-
küche, in der mit Hilfe der Heuerfrauen die Wäsche des Hofes gewaschen wurde. An jedem
Samstag findet hier auch die große Kinderwäsche statt. Eine Zinkwanne wird aufgestellt und
mit heißem Wasser aus dem Waschkessel gefüllt. Danach werden die älteren Kinder
nacheinander und die jüngeren Kinder miteinander in dem Wasser von oben bis unten mit
Kernseife solange abgeschrubbt bis sie sauber sind.
Haus, Diele und Hof werden auch am Samstag gereinigt. Die gestampften Lehmböden der
Wohnhäuser werden nach dem Fegen mit einem hellfarbenen Küchensand bestreut, der
nur an einer Stelle des Dorfes zu finden ist.



[ zurück ]