Das Lager

Aufgeschrieben im JUni 2005 von Erka Speil


Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen.
Im Jahre 1934 wird das Lager für den Freiwilligen Arbeitsdienst in Ahmsen
aufgebaut. Die zwei Torpfosten sind heute noch zu sehen. Ein Schlagbaum und
ein Schilderhäuschen kommen 1935 dazu. Da hat die Hitlerpartei aus dem
Freiwilligen Arbeitsdienst schon den Reichsarbeitsdienst gemacht. Nun kommen die
jungen Männer nicht mehr freiwillig. Jetzt werden sie dienstverpflichtet. Jetzt
müssen sie ihren Spaten so handhaben wie die Soldaten ihre Gewehre. Das üben
sie in dem täglichen Spatenexerzieren. Im Lager benutzen sie dazu den Exerzierplatz,
der sich in der Mitte der Anlage befindet. Zum Strafexerzieren marschieren sie zum
Hundekärkhoff. Das ist ein Landstück an der Grenze zwischen Ahmsen, Vinnen
und Herßum. Hier wurden früher die verendeten Tiere des Dorfes begraben. Im Ort
wird erzählt, dass die Arbeitsmänner sich manchmal wünschen, dort auch
begraben zu sein, so hart sind der Drill und das Tageswerk.

Ich habe noch genau vor Augen wie das Lager aufgeteilt war.

Wie schon gesagt: ein Tor und ein Exerzierplatz. Darum zwischen Bäumen und
Sträuchern vier Mannschaftsbaracken. In ihnen können bis zu 180 Arbeits-
männer untergebracht werden. Dazu kommt die Wirtschaftsbaracke mit einem
Speisesaal, einer Küche und einem Lebensmittellager. Weiterhin gehören eine
Wasch- und Latrinenbaracke, eine Verwaltungsbaracke sowie eine Kleider- und
Ausrüstungsbaracke zum Lagerkomplex.

Ich schwöre, wir und unsere Arbeitsmänner haben ein freundschaftliches
Verhältnis miteinander.

Wir nennen unsere jungen Männer auch dann noch FADisten als sie längst Reichs-
arbeitsdienstler sind. Gerne veranstalten wir gemeinsame Musikzugmärsche. Vorne
im Zug marschieren ihre und unsere Pfeifer und Trommler und die dicke Pauke,
am Ende springt und hüpft unsere ausgelassene Dorfjugend. Wir stehen am Weges-
rand und klatschten begeistert Beifall. Zwar gibt es im Lager eine Kantine, aber auf ein
Bier treffen wir uns gerne in den Dorfkneipen. Viele haben Heimweh. Bei einem guten
Gespräch können sie es vorübergehend vergessen. An ihren freien Tagen laden
wir sie zum Mittagessen ein. Solche Einladungen sind für beide Seiten immer wie
ein kleiner Festtag.

Ich glaube, wir verdanken unseren FADisten unsere heutige Mobilität.

Unsere Arbeitsdienstler werden zur Moorkultivierung und zum Straßenbau eingesetzt.
Natürlich ist die Moorkultivierung mit dem Spaten nicht sehr effektiv. Die Tief-
pflüge führen nach dem Kriege zu wesentlich besseren Ergebnissen. Aber die
vom den FADisten gebauten Straßen nach Lahn und Lähden sind von ganz
anderer Qualität als unsere alten Sand- und Kopfsteinwege. Vielleicht sind die
beiden Straßen auch in einem besseren Zustand als heute. Doch dieser Mangel hat
auch etwas Gutes: Auf den Unebenheiten kann nicht so gerast werden.

Das Ende des FAD-Lagers in Ahmsen ist schnell erzählt.

Vom Kriegsbeginn 1938 bis zur Auflösung des Standortes Ahmsen im Kriegsjahr
1943 werden die Arbeitsdienstmänner als Bautruppen der Wehrmacht eingesetzt.
Im Dorf wird erzählt, unsere FADisten müssten sogar in Holland Befestigungs-
anlagen bauen. Nach dem Kriegsende belegen kurzfristig erst kanadische
und dann polnische Truppen das Lager. Danach werden die Baracken demontiert und
in Vinnen, Herßum und Holte als Ersatz für zerstörte Häuser wieder aufgebaut.
1948 wohnen bis zu acht heimatvertriebene Familien in den zwei noch vorhandenen
Baracken. 1963 zieht die letzte Familie nach Lastrup.

Ich meine, mit dem FAD-Lager in Ahmsen ist es wie mit allen Dingen im Leben:
Kein Nutzen ohne Schaden und kein Schaden ohne Nutzen.



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